Nebenbahnen in Unterfranken

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Vorwort:

Unterfranken verdankt seinen Namen der Tatsache, dass es sich bei dem nordwestlichsten Regierungsbezirk Bayerns an der Grenze zu Hessen und Baden-Württemberg um den aus geographischer Sicht niedrigst gelegenen Teil Frankens handelt, abgesehen von den Erhebungen in den Waldgebirgen der Rhön mit 928 Meter Höhe und des Spessarts mit 585 Meter Höhe.
In den unseligen Jahren 1938 bis 1946 nannte man den Regierungsbezirk Unterfranken und Aschaffenburg offiziell Mainfranken, ein schöner Name, der doch den Landstrich viel treffender bezeichnet: Der Main ist Unterfrankens Fluß, auf gut 300 Kilometern windet er sich durch die für manchen unerwartet vielfältigen Landschaften dieser Region. Von Bamberg aus kommend, verlässt er Oberfranken an einer Stelle, wo die waldigen Keuperhänge des Steigerwaldes und der Hassberge von beiden Seiten nahe an den Fluß herantreten. Hinter Schweinfurt wendet er sich nach Süden, um durch das fränkische Weinland die Muschelkalkplatte des Maindreiecks zu umfließen. Die Buntsandsteinhöhen des Spessarts zwingen den Fluß abermals zu einem weiten Umweg; als Mainviereck legt er sich wie ein hellglitzernder Rahmen um das düstere Waldgebirge. Erst bei Aschaffenburg treten die hemmenden Berge zurück, und in weiter Talebene vermag der Main unbehindert seiner Vereinigung mit dem Rheinstrom zuzustreben.
„Mainfranken ist Weinfranken“, in der Tat fast ununterbrochen schmückt der Fluß von Bamberg bis Aschaffenburg seine Ufer mit Rebhängen – eine funkelnde Perlenschnur berühmter Winzerorte und Weinlagen mit ihren beliebten Weinfesten, Unterfranken ist schlechthin das Weinbaugebiet im sonst bierorientierten Bayern, und wer kennt nicht die weltberühmten Bocksbeutel ?
„Lächelndes Madonnenreich“ nannte der Schriftsteller Anton Schnack seine Heimat, in der Tat wurde das Weinland um den Main zu einem Bildstockgarten und einem Gebiet inniger Marienverehrung. Nirgendwo sonst entstanden diese religiösen Steinmale an Straßen und Wegen in so großer Zahl wie hier und zeigen sichtbar die tiefe Religiösität der überwiegend katholischen Bevölkerung.
Dazu Kirchen, soweit das Auge reicht, am besten mit einem Altar von Tilman Riemenschneider, einem ebenso bedeutenden mainfränkischen Künstler wie der Architekt Balthasar Neumann, der für einige der hier – neben vielen Burgen – so zahlreich anzutreffenden Barockschlösser und Residenzen verantwortlich ist.
Mainfranken ist auch das Land der vielen kleinen mittelalterlichen Städte – lauter Idyllen mit Mauerringen, Türmen und Stadttoren, mit Kopfsteinpflaster, engen Gassen, alten Fachwerkhäusern und hübschen Marktplätzen, die zudem meist mit einem Renaissance-Rathaus geschmückt sind.
Und was ist mit der Eisenbahn ?
Vielen Eisenbahnfreunden dürften Orte wie Würzburg mit den letzten Altbau-E-Lok der Baureihen 118 und 144 und als Ausgangspunkt der Neubaustrecke nach Hannover ein Begriff sein. Manch einer war schon einmal an der Spessartrampe Laufach – Heigenbrücken, um Schubloks der Baureihen 194, 150 und jetzt 151 zu erleben, in Aschaffenburg, wo die letzten 65er dampften oder in Gemünden, um Züge am Main zu beobachten, einem der Lieblingsmotive des Urvaters der Eisenbahnfotografie, Carl Bellingrodt.
Doch wer kennt die Nebenbahnen ?
Die Älteren werden sich vielleicht an die letzten spektakulären Einsätze bayrischer Lokalbahnlok der Baureihe 98 auf der Strecke nach Königshofen im Grabfeld erinnern, oder haben die Bamberger 280 bei ihren letzten Fahrten nach Maroldsweisach begleitet, die Jüngeren erinnern sich vielleicht an das „Hofheimerle“ von Hassfurt nach Hofheim, einem der letzten „Schienenbusreservate“.
Nur wenige interessierten sich damals für die Nebenbahnen des Bezirks, zu alltäglich war das Geschehen und die letzten Dampfloks der Bundesbahn waren interessanter und hauptsächlich auf Hauptbahnen unterwegs. Nach der Ausmusterung der letzten „Dampfer“ im Westen gingen nun viele in die DDR, wo die Dampfwelt noch halbwegs in Ordnung war und die Altbau-E-Loks rückten in den Blickpunkt der Eisenbahnfreunde und nach deren überwiegender Abstellung bemerkte erst dann manch Eisenbahnfreund, dass viele Nebenbahnen bereits stillgelegt wurden oder zum Sterben verurteilt waren. Mitunter auch ein Grund, weshalb Aufnahmen aus den siebziger und frühen achtziger Jahren nicht sehr häufig sind.
Diese Zeit des Niedergangs der mainfränkischen Nebenbahnen nicht deren Entstehungsgeschichte ist Gegenstand unserer Betrachtung, die Mitte der siebziger Jahre zum Sommerfahrplan 1976 beginnen soll. Zu diesem Zeitpunkt war eine erste Welle von Einstellungen im Personenverkehr, vereinzelt auch im Gesamtverkehr abgeschlossen, das Netz war zunächst weitgehend stabil, obwohl es auch in der Folgezeit weitere Stillegungsbemühungen gab. Die letzten Dampflokeinsätze wurden beendet, die Dieseltraktion war nun uneingeschränkter Herrscher auf den Nebenbahnen, die Neuordnung bestimmter Strukturen waren weitgehend abgeschlossen, u.a. wurde das Knotenpunktsystem im Güterverkehr eingeführt. Dort wo es der Zusammenhang erforderlich oder sinnvoll macht, werden auch die frühen siebziger Jahre in Wort und Bild gestreift.
Aufgrund der frühen Betriebseinstellung sind die Nebenbahnen von Rottershausen nach Stadtlauringen, die bereits mit Ablauf des 31. März 1960 für den Gesamtverkehr stillgelegt wurde, und von Dettelbach Bahnhof nach Dettelbach Stadt, deren Gesamtverkehr offiziell mit Ablauf des 25. Mai 1968 eingestellt wurde, nicht enthalten. Auch wird manch einer die Strecke Gemünden (Main) – Bad Kissingen vermissen, die zwar bis Hammelburg als Nebenbahn gebaut wurde, aber bereits 1924 im Zuge des Weiterbaus der Hauptbahn nach Bad Kissingen auch als solche umgebaut wurde, auch wenn sie heute noch zum Teil einen nebenbahnähnlichen Betrieb aufweist. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Nebenbahn Breitengüßbach – Dietersdorf (Oberfr) nicht enthalten ist, auch wenn die Betriebsstellen Heilgersdorf, Setzelsdorf und Memmelsdorf (Unterfr) zum Teil auch nach der Gebietsreform zu Unterfranken zählten, diese Strecke wird im ersten Band unserer Reihe „Nebenbahnen in Oberfranken“ behandelt.
Wer unsere bisher erschienenen Nebenbahnbücher kennt, wird feststellen, dass wir abgesehen von Änderungen in der Aufmachung, den Text und damit den Umfang erweitert haben, um insbesondere durch die ausführlichere Beschreibung der Strecken den Lesern zu ermöglichen, die Landschaft Unterfrankens mit ihren Dörfern und Städten besser kennen zu lernen, um die Unverwechselbarkeit der mainfränkischen Nebenbahnen erleben zu können. Darüber hinaus wurden die Erläuterungen zum Personen- und Güterverkehr wo möglich ausführlicher dargestellt, damit derjenige, der es möchte, die weitgehend exakte Entwicklung des Betriebsgeschehens nachvollziehen kann bzw. auch Anregungen oder Beweise für einen eventuellen vorbildgerechten Modellbahnbetrieb gewinnen kann. Bei der Bildauswahl wurde wiederum der Schwerpunkt auf den Planbetrieb gelegt, Sonderzüge sollen nur nachrangig dargestellt werden.
Zuletzt möchte ich all denen, die geduldig auf mich und dieses Buch gewartet haben und insbesondere denen, die mich mit Bildmaterial und Informationen unterstützt haben, von ganzen Herzen danken und hoffe, dass die Nebenbahnen in Unterfranken nicht nur mit diesem Buch lebendig bleiben, indem Sie und ich es mehr als nur einmal zur Hand nehmen werden.

Berlin, im März 2003
Andreas Kuhfahl